Copepoden – Was ist denn das ?

Text von Ulrich Reisdorf, Seerose Frechen

Mein Riffbecken befand sich gerade in der fortgeschrittenen Einlaufphase. Zahlreiche Weich- und Lederkorallen sowie Scheibenanemonen wurden mit lebenden Steinen in ein 400 l – Becken aus meinem alten 900 l – Becken umgesiedelt und mit neuen frischen lebenden Steinen kombiniert. Das Becken besitzt einen kleinen Rieselfilter und ein separates Refugium in Form eines Unterschrankbeckens. Ein Eiweißabschäumer wurde nur während der ersten Wochen betrieben und danach wieder demontiert. Alle chemischen Parameter von Relevanz wie z.B. Nitrat und Nitrit entwickeln sich normal. Zum Zeitpunkt der Schilderung befanden sich weder Fische, noch größere bewegliche Wirbellose im Becken – bis auf einen Test-Einsiedler, der einsam seine Runden krabbelte.

In einem solchen Becken, in dem Fische als Räuber und Aufwuchsfresser fehlen, können sich kleine Organismen viel besser entfalten und sind auch gut zu beobachten. Tiere, die man in normalen, fischbesetzten Becken häufig nur zu Gesicht bekommt, wenn man einen lebenden Stein umdreht, bewegen sich frei im Becken. Zu nennen sind hier z.B. verschiedene Borstenwürmer (nach Einbruch der Dunkelheit), Schlangensterne, kleine Seesterne und natürlich auch Copepoden. Bei Letzteren handelt es sich um Organismen aus der Gruppe der Ruderfußkrebse, kleine bis zu maximal ca. 2,5 mm lange Krebstiere - auch unter dem populären Namen Hüpferlinge bekannt. Diese Tiergruppe kommt zwar auch im Süßwasser vor, aber überragende ökologische Bedeutung besitzt sie für den marinen Lebensraum. Die Biomasse dieser kleinen Krebse beträgt in manchen Biotopen mehr als die Summe aller anderen Organismen. Vergleichbar ist das nur mit den Insektenvorkommen in manchen Regenwaldbiotopen oder Würmern im Wattenmeer.

Aus diesem massenhaften Vorkommen ist leicht abzuleiten, wie wichtig Copepoden für die Ernährung anderer Tiergruppen, wie z.B. den Fischen, sind. Neben den freischwimmenden Formen – die in den marinen Habitaten große Planktonschwärme bilden – treten auch an Substrat gebundene Formen auf, die auch im Aquarium zu beobachten sind. Diese werden in der Regel mit Lebendgestein oder lebendem Sand eingeführt und sind schon nach wenigen Wochen Einlaufzeit des Beckens so zahlreich, dass sie zu Hunderten die Dekoration und den Bodengrund besiedeln. Die Krebse ernähren sich hauptsächlich von kleinsten Algen und den bakteriellen Biofilmen auf dem Substrat. In meinem Becken werden diese Bakterien mit der Wodka-Methode gefüttert (5 ml direkt ins Becken oder den Filter), was zu einer Verstärkung der Vermehrungsquote führt.

Die im Aquarium zu beobachtenden Ruderfußkrebse sind länglichen Formen und kompakten Arten zuzuordnen, die entfernt an längliche Bachflohkrebse erinnern. Die Tiere bewegen sich kriechend und gleitend oder lassen sich auch schon mal kurze Strecken mit der Strömung treiben, um dann wieder an einem Stein anzulanden. Manchmal kann man sogar beobachten, wie sich zwei Tiere verfolgen (Männchen verfolgt Weibchen?).

Große Populationen dieser Tiere sind meines Erachtens für ein Riffbecken von ökologischem Vorteil und ein Anzeiger für ein intaktes System. Setzt man Fische möglichst spät innerhalb der Startphase eines Beckens ein, kann sich die Copepodengemeinschaft bezüglich der Diversität und Densität gut entfalten und später dem Druck der Fressfeinde vielleicht wiederstehen. Besitzt das Becken ein Refugium, das den Fischen nicht zugänglich ist, können die Larven der Krebse immer wieder versuchen das Hauptbecken zu besiedeln.

Interessant wäre es, herauszufinden ob ein mittelgroßes Aquarium genügend dieser Krebse als Nahrung produzieren kann, um z.B. ein Paar Seenadeln oder Manderinfische ausreichend mit Futter zu versorgen. In einem 450 Liter Becken von mir war allerdings bereits ein Manderinfisch in der Lage das Copedoden-Vorkommen soweit zu reduzieren, dass kaum noch Krebse auf dem Substrat zu beobachten waren. In diesem Becken wurden die Biofilme allerdings noch nicht zusätzlich mit Kohlenstoff (Wodka) versorgt.

Die Entwicklung des Copepoden stellt sich grob gegliedert wie folgt dar: Die Ruderfußkrebse schlüpfen als Nauplius (N I) aus den Eisäcken der weiblichen Tiere und entwickeln sich über die Naupliusstadien N II bis N VI als Larve. Es folgen fünf juvenile Copepoditstadien (Copepodit C I - C V). Die Genese ist abgeschlossen mit dem adultem Stadium des Tieres (Copepodit C VI).

Weiterführende systematische Ausführungen und Erläuterungen zur Genese des Einzeltieres würden den Rahmen dieses kleinen Artikels sprengen, es sei an dieser Stelle auf entsprechende Fachliteratur verwiesen.

Nachtrag: Mittlerweile befinden sich in dem Becken zwei Scherengarnelen (Stenopus hispidus), die sich gut eingewöhnt haben. Die Tiere werden nur einmal am Tage gefüttert und müssen sich ansonsten ihre Nahrung im Becken suchen. Interessant war zu beobachten, das zumindest das Männchen gezielt Jagd auf die Copepoden macht. Zu diesem Zweck wird ein begrenzter Bereich, meistens ein Stein, mit dem zweiten und dritten Gliederpaar abgesucht. Das erste Gliederpaar wäre für das Packen der Copepoden zu groß. Ist ein Kleinkrebs entdeckt, wird versucht diesen mit Scheren einzukreisen und zu fangen. Die Copepoden entwickeln auf der Flucht erstaunliche Geschwindigkeit und entweichen den Scherengarnelen mit einer Häufigkeit von ca. 80 %. Das heißt jeder fünfte Jagdversuch der Scherengarnele ist erfolgreich - ein im Vergleich zu anderen Räubern guter Schnitt.

Ein Rückgang der Copepoden Population ist nach dem Einsetzen der Scherengarnelen nicht zu beobachten.

Noch ein Nachtrag: Mittlerweile wird das Becken auch von Fischen bewohnt und die Anzahl der sichtbaren Kleinkrebse hat deutlich abgenommen - aber sie sind noch vorhanden. Im Filterbecken - dem Refugium - ist die Dichte der Copepoden unverändert hoch. Im Aquarium selbst stellen zwei Fische - ein Feuerkorallenwächter und ein Herzogfisch den Krebsen nach, mehr Fressfeinde würde wohl ein Zusammenbrechen der Population bewirken.

Wenn Ihr nach dem Lesen dieser Zeilen Lust verspürt, vor Eurem Becken ein paar Minuten mit der Lupe oder auch mit unbewaffneten Augen auf Minikrebs-Suche zu gehen und Eure Beobachtungen uns zu berichten, würden wir uns über einem Informationsaustausch sehr freuen.